BIOGRAPHIE

Mieke Groot


Mieke Groot (geb. 1949 in Alkmaar, Niederlande) gehört seit Jahrzehnten zu den bedeutenden Persönlichkeiten der internationalen Glasszene. Mehrfach konnte sie ihr Werk erneuern und dabei dessen Kern aufrecht erhalten und vertiefen: Sie sieht sich als „Formgeberin“, die von einer abstrakten Geometrie ausgehend sich die Welt der Farben erarbeitet hat und stets nach der perfekten Gestaltung sucht. Neben der Arbeit am eigenen Werk war sie über 20 Jahre lang gemeinsam mit Richard Meitner in leitender Funktion für die Glasabteilung an der Rietveld Academie in Amsterdam tätig und unterstützte hier wie auch bei verschiedenen weltweiten Gastdozenturen Studenten darin, künstlerische Perspektiven und Konzepte in der Arbeit mit Glas zu entwickeln. Zudem war sie in verschiedenen Gremien der Kunstförderung eingebunden, war Jurorin bei Wettbewerben und von 1996 bis 2006 Kuratorin für die Glassammlung der Ernsting Stiftung und ihr Glasmuseum Alter Hof Herding. So konnte sie vielfach Entwicklungen und Sichtweisen im Glasbereich weit über ihr direktes Umfeld hinaus prägen.

1969 hatte sich Groot an der Rietveld Academie in Amsterdam für ein Schmuckdesign-Studium eingeschrieben. Die Ausbildung war an den Prinzipien der Bauhaus-Schule orientiert und konzentrierte sich auf die Form. Dekoration galt hier als etwas Suspektes. Während dieses Studiums legte Groot den Grundstein für ihr späteres Werk im Glas, der ihr nie verloren gehen sollte: Die disziplinierte Arbeit mit der Form nach straffen Prinzipien und der Respekt für eine ästhetische Harmonie. Dazu kam das hier vermittelte Streben nach Perfektion. Zu Beginn der 1970er Jahre kam sie in die von Sybren Valkema aufgebaute Glaswerkstatt an der Rietveld Academie. Hier fertigte sie Glasperlen für ihren Schmuck und entdeckte so die Unmittelbarkeit der Arbeit mit dem heißen Glas: Das schnelle Agieren in den kurzen Zeitfenstern geeigneter Verarbeitungstemperatur und die runde Grundform, in die das geblasene Glas drängt. Sie schloss ihre Ausbildung im Schmuck ab und absolvierte sofort im Anschluss von 1974 bis 1976 ein Postgraduiertenstudium in der Glassektion. Zur Faszination am Glas gehörte für sie sicher auch die internationale Atmosphäre mit Gastdozenten und Studenten aus vielen Ländern Europas und den USA sowie die Perspektive, eine völlig neue Entwicklung mit gestalten zu können. Und last but not least lernte sie hier Richard Meitner kennen, mit dem sie inzwischen eine jahrzehntelange fast schon symbiotische Kooperation verbindet: als gemeinsame Betreiber einer der ersten freien Glaswerkstätten in den Niederlanden, „General Glass“ in der Bellamystraat in Amsterdam, 1976 gegründet, von 1980 bis 2000 als Leiter der Glasabteilung an der Rietveld Academie und trotz höchst eigenständiger künstlerischer Werkzusammenhänge doch in der Verarbeitung gleicher Einflüsse und bisweilen in der Nutzung gleicher Arbeitstechniken, z.B. der Emailbemalung.

In den 1970er Jahren interessierten sich Groot und Meitner für japanische Kunst, vor allem für Lackdosen, deren Eleganz und Reinheit der Form sie in ihre eigene Arbeit zu bringen sich bemühten. Groot fertigte kleine Gefäße, Vasen, Schalen, Flacons mit einem Deckel aus farblosem Glas. In einer Zwischenschicht ist häufig Blattsilber eingelegt, das gelegentlich auch Träger von Zeichnungen ist und das beim Aufblasen feingliedrig aufreißt. „Reine Form, darauf kam es zu dieser Zeit einfach an“, wie Groot schreibt. Deren Perfektion war ihr zu dieser Zeit nur im kleinen Maßstab möglich. Das änderte sich ab 1984 mit der Ausprägung einer neuen Werkgruppe. Der Glasposten ist zum Teil in eine Form geblasen. Der untere Teil dieser Arbeiten trägt der Architektur entlehnte lisenenartige Gliederungen. Der obere Bereich ist frei gearbeitet: Weiche, organisch gewachsen erscheinende Formen bilden einen starken Kontrast zur Basis. Damit das dünn ausgeblasene farblose Glas Präsenz im Raum erhält und die Formen klar erkennbar werden, sind die Stücke mit eingebrannten Emailfarben bemalt. Das Glas definiert die Form und ist gleichzeitig Grund für eine abstrakte Malerei. Schon die kleinen Gefäße mit den Silberfolien sind weniger als wirkliche Gebaruchswaren zu sehen, sondern Ausdruck einer ästhetischen Kraft. Die ihnen folgenden bemalten Objekte tragen zwar auch immer noch die Grundform einer Vase oder Flasche, mit ihnen führte Groot aber das Gefäß zur Skulptur.

Ein weiterer Schritt erfolgte 1986. Groot war eingeladen, am bedeuten Projekt „Beelden in Glas“ teilzunehmen. Für die Ausstellung in Fort Asperen, einem militärischen Festungsbauwerk des 19. Jahrhunderts, entwickelte sie eine Installation, bei der sie die Ziegelstruktur der gemauerten Wände aufnahm und das große Fenster eines Raums mit gegossenen, halbtransparenten Glassteinen ausfüllte. In der Mitte des Raums platzierte sie einen übergroßen, kippenden Stuhl aus Stahl. Die melancholisch-surreale Verwandlung des Raumes à la „Warten auf Godot“ galt vielen Besuchern als eines der Hauptwerke der Ausstellung. In der Folge griff Groot das Motiv des Ziegels auf und bemalte ihre halb formgeblasenen und halb frei geformten Gefäße mit steinernen Strukturen. Vor allem aber goss sie kleine Steine, die sie trotz ihrer geringen Größe zu monumental erscheinenden Gebilden stapelte und verklebte. Von einer geometrischen Grundform ausgehend sind sie „hochgemauert“ und bisweilen gegen rostige Eisenbleche gestellt. Waren die Steine zunächst transparent, so sind sie später schwarz oder weiß bemalt und zu kontrastierenden Flächen oder rhythmischen Mustern gelegt. Die Oberflächen sind mal glatt und dann wieder sandgestrahlt rau und schrundig. Viele der so entstandenen Arbeiten erinnern an Schalen und Vasen. Mit diesen Objekten hat Groot noch radikaler als zuvor die Form und Konstruktion von potentiellen Gebrauchsobjekten untersucht und so die Grenze zwischen Freier und Angewandter Kunst noch deutlicher in Frage gestellt.

Zu Beginn der 1990er Jahre gab es einen radikalen Bruch. Die Arbeit mit den Steinen endete völlig. An ihre Stelle traten Glasobjekte mit einer stark farbigen, keramikartig wirkenden Haut. Von den Ideen der frühen Studioglasbewegung, die in allen Schritten die „persönliche Handschrift“ des Künstlers forderte, gelöst, ließ Groot die Rohlinge für diese Arbeiten von ihren ehemaligen Schülern Richard Price und Gareth Noel Williams blasen. Es sind zumeist runde und zylindrische Formen, die zum Teil aufeinandergetürmt sind. Die Haut besteht aus einem mehrfach aufgetragenen und gebrannten Gemisch aus Emailfarbe und Sand. Je nach Stärke und Materialmischung kann diese Haut eine leicht raue Oberfläche bilden oder zu tiefschrundigen Texturen aufreißen, so dass die Assoziation an unter starker Sonneneinstrahlung ausgetrocknete Böden nahe liegt. Zunächst erhielten die Arbeiten eine einheitlich monochrome Farbgebung. Nur der obere Rand und das Innere des oft schwarzvioletten Glases blieben unbemalt und schimmern tiefgründig. Das Abgeben des Glasblasens sieht Dan Klein als eine Befreiung, die Groot dazu brachte, stärker über Farben nachzudenken. Schon bald setzte sie unterschiedliche Farbfelder und Texturen gegeneinander. Ein Liniengefüge aus schwarzen Strichen oder frei gelassenen, unbemalten Glases kann diese Felder gegeneinander absetzen. Noppen und kleine Stacheln können auf die Haut gesetzt sein und bisweilen ist die Oberfläche der Schollen im Gewirr der monochromen Risse bunt akzentuiert. Ein zentraler Ausgangspunkt für diese Werkphase ist Groots Sinn für Geometrie. „Ich bin eine geometrisch orientierte Person. Ich mag Linien. Farben verändern Masse. Das sind die Dinge mit denen ich gern spiele.“ Zum anderen hat sie ihr Interesse an indigener Kunst Afrikas und Asiens hierher geführt: Die mit Schlamm und Lehm als Pigmentträger aufgetragenen Farben von Körperbemalungen bilden eine zweite Haut, die während des Trocknens und durch Bewegungen aufreißt. Ihre ersten gläsernen Arbeiten kamen diesen Vorlagen ästhetisch zu nahe, so dass Groot sie vernichtete. Es geht ihr nicht darum, fremde Exotik inhaltlich in ihr Werk zu integrieren, sondern die Wechselwirkungen von stereometrischen Formen, Farben und Texturen aufeinander zu erkunden. Die Anregungen dazu können aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen: von den Texturen der Körperbemalungen Neuguineas über die Muster bunter Uniformen eines Spielmannszuges im französischen Sars-Poteries bis zur Lehmarchitektur Malis oder der Zopffrisur eines dortigen Mädchens, das partout mit auf ein Foto wollte, dass Groot von einem Gebäude machte. Die kurzen Zöpfe führten sie Monate später zu den Stachelaufsätzen einer ihrer Werkgruppen. Seit Mitte der 1990er Jahre fertigt Groot auch wieder Schmuck, vor allem Colliers aus verschiedenen Materialien. Und auch hier gilt es wieder, dass sie die Wechselwirkung der einzelnen Elemente aufeinander erkundet. Von senegalesischen Hinterglasmalereien inspiriert entstand zudem eine Werkgruppe, bei der sie ihre mit der zweiten Haut versehenen Gefäße weit öffnet und von innen mit einer für sonst für sie völlig untypischen, dekorativen Blumen- und Blättermalerei versehen hat.

Als in den 1980er Jahren lebhafte Bewegung in den theoretischen Diskurs der internationalen Kunstszene kam, erst das Ende der Malerei, dann die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den Disziplinen und sogar das Ende der Kunst als Ganzes proklamiert wurde, konnte Mieke Groot die sich öffnenden Freiräume mit ihrer Arbeit nutzen. Ohne Konzessionen an die Kommerzialisierung entwickelte sie ihr Werk. Etwas Neues wollte sie machen, etwas, das nie zuvor zu sehen war. Ihre Art der Formgebung hat für Helmut Ricke gezeigt, dass es „unerheblich ist, ob es bei den Formen um freie – skulpturale – oder gebundene, also Gefäßformen geht. …. Eine stimmige Form und überzeugende Oberflächengestaltung brauchen keine tiefere Bedeutung, um zu bestehen“. Anne Vanlatum sieht in Groots Werk jenseits aller Disziplingrenzen eine „Reflektion … des Kunstwerks und seiner Identität“. Nachdem die großen Kunstdiskurse vom Ende des 20. Jahrhunderts wieder abgeklungen sind, hat sich inzwischen eingebürgert, ihr Werk unter dem Begriff „autonomes Design“ zu beschreiben. Wie immer man zu solchen Klassifizierungen steht, bleibt doch das Statement von Dan Klein: „Mieke Groot hat als Künstlerin und Lehrerin eine Schüsselrolle im Europäischen Glas gespielt, seit sie ihr Studium an der Glasabteilung der Rietveld Academie in Amsterdam 1976 abgeschlossen hat.“
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung