BIOGRAPHIE

Matyas Pavlik


Matyas Pavlik (geb. 1984 in Ústí nad Orlicí, Tschechoslowakei) arbeitet seit 2012 mit formgeschmolzenem Glas. Schnell entwickelte er eine eigene Arbeitsweise. Vor dem Hintergrund der großen Anzahl seit Langem in Tschechien mit dieser Technik arbeitenden Künstler, zu denen mit Vladimíra Klumpar zudem die eigene Mutter gehört, ist das gar nicht so einfach. Sie alle verbinden persönliche inhaltliche Dimensionen mit der Erforschung von Farbräumen durch variierende Glasstärken, die die Farbe von lichthell bis fast ins Schwarze changieren lassen, sowie unterschiedliche Oberflächentexturen und Binnenstrukturen. Während Klumpar meist entweder organischen oder geometrischen Formen den Vortritt lässt, lebt die Arbeit von Matyas Pavlik formal von der Spannung des Gegensatzes von beidem in einer Arbeit.

Pavliks Themen kreisen immer wieder um Naturelemente, vor allem Wasser und Berge, und die Vorstellungen, die wir uns davon machen. Das griechische Wort „Eidolon“ steht für Bild, Abbild, Nachbild, Trugbild. Eine ganze Serie von Pavliks Skulpturen trägt diesen Begriff im Titel: „Pacific Eidolon“ (2013), „Atlantic-“ (2014), „Artic-“ (2015), „Caribbean-“ (2014) oder „River Eidolon“ (2015). Runde oder durch schwungvolle Linien definierte Stelen sind durch Wülste bzw. rundliche Vertiefungen strukturiert. Sie repräsentieren Folgen von Wellen. Es geht aber nicht um eine naturalistische, abstrahierte oder wissenschaftliche Darstellungsweise, sondern um unsere Vorstellung von der nur schwer fassbaren, übergroßen Naturerscheinung, der Pavlik mit poetischen Mitteln nachspürt. Mit „Deliquescence“ (2017) und „Precipitation“ (2017) thematisiert er die Verflüssigung von Luftfeuchtigkeit zu Tropfen und findet ebenfall ein Bild jenseits aller logischen Wissenschaft: In skurrilem Winkel ragt ein Arm von einer Stele ab. Von oben nach unten werden runde Tropfenformen größer und die Farbe changiert von fast durchsichtig zu einem kräftigen Blau. „The River flows in sweaping Meanders“ (2018), eine Landschaftsdarstellung mit pyramidenhaften Bergen und einem mäandrierenden Fluss, zeigt wieder den eigenartig abstehenden Arm. Auch hier kann er als ein poetisches Zeichen für die kaum fassbaren Kräfte und Fähigkeiten gelesen werden, mit denen Wasser und Fels die Landschaft formen. Die Stellung des Menschen spricht Pavlik mit seinen „Guardians“ an, den Wächtern und Schutzengeln. In „Zenith“ (2017) wird ein innerer Kern von einem Akanthusornament ummantelt. Ein in zwei Bahnen sanft stürzender Wasserfall breitet seine Arme aus („Cataractas“, 2016). Es ist die Natur, die den Menschen wie ein Schutzengel, wie der engelhafte „Guardian“ (2015) oder der „Golden Angel“ (2018) behütet. Und hintersinnig fragt Pavlik in unserer vielschichtig zersplitterten postmodernen Gesellschaft nach dem Geschlecht der Schutzengel („Angelia“ und „Angelio“, beide 2017, konzipiert als Geschwisterpaar).

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, weiß das Sprichwort zu berichten wenn die Kinder mit einigen ihrer Eigenschaften nach den Eltern kommen. Mit seiner künstlerischen Begabung und seinem Interesse an der Arbeit mit Glas ist das bei Matyas Pavlik gleich doppelt der Fall: Sein Vater ist Michael Pavlik (geb. 1941), ein 1967 aus der ČSSR in die USA emigrierter Graphikdesigner, der im neuen Heimatland zum Glas fand und sowohl mit geblasenem als auch mit geschliffenem und poliertem Glas abstrakt arbeitet. Seine Mutter Vladimíra Klumpar konnte sich mit monumentalen formgeschmolzenen Skulpturen eine internationale Karriere aufbauen. Beide lernten sich zu Beginn der 1980er Jahre auf einem Glassymposium kennen. Eingeschränkte Reisemöglichkeiten machten ihnen aber das Leben schwer. Matyas wurde noch der ČSSR geboren. 1985 konnte seine Mutter mit ihm ebenfalls in die USA auswandern, wo die nun vereinte Familie sich in Shellburne Falls, Massachusetts, in der Nachbarschaft des Glaskünstlers Josh Simpson niederließ. Hier bauten sie ihre Werkstatt auf, lebten aber auch einige Monate im Jahr in Mexiko.

Pavlik wuchs in Amerikas Nordosten und im warmen Mexiko in einem Umfeld großer kultureller Diversität auf. Er konnte tagtäglich erleben, wie künstlerische Ideen entwickelt und realisiert wurden. Im Glas hatte er permanenten Zugang zu drei völlig unterschiedlichen Arbeitsbereichen: Der Schleif-, Polier- und Klebewerkstatt seines Vaters, der Formenbau- und Schmelzwerkstatt seiner Mutter und der Heißglaswerkstatt von Josh Simpson. Dessen Sohn war sein bester Freund, und die beiden konnten sich gelegentlich am Studioofen ausprobieren. Nach der Schule zog es Pavlik aber zunächst gar nicht ins Glas. Er ging nach Kalifornien und studierte von 2004 bis 2006 an der University of San Francisco Graphikdesign. 2007 folgte er seiner Mutter nach Prag. Sie war bereits 2003 zurück in die Tschechische Republik gegangen, nicht zuletzt weil es hier spezialisierte Werkstätten wie die von Tomáš Flanderka und Tomáš Málek gibt, in denen sie ihre großformatigen Arbeiten realisieren kann. In Prag studierte Pavlik zwischen 2007 und 2009 an Hochschule für angewandte Kunst bei Marian Karel Kunst mit der Spezialisierung auf Installation. Impulsgeber waren das Werk von Olufar Eliasson und Anish Kapoor. Doch schnell desillusionierte ihn dieses Studium, das letzten Endes viel Arbeit am Computer bedeutete. Matyas Pavlik suchte nach einer neuen Herausforderung. Gleichzeitig kam vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in den USA, in Mexiko und der Tschechischen Republik immer mehr die Frage auf, wo er eigentlich in dieser Welt stünde. Die Konsequenz war ein breit angelegtes geisteswissenschaftliches Studium an der Anglo American University in Prag. Und dann fand Pavlik doch noch seinen Weg ins Glas. Bei Besuchen in der Werkstatt seiner Mutter machte er erste Versuche und fand Gefallen an dieser Arbeit mit den Händen. 2012 war er bei der Gründung der Design-Marke M.O.M. mit Boda Horák, Vladimíra Klumpar und Hanuš Horák beteiligt. Mit ihren Lampen und Lichtobjekten wollten sie einem lange in Tschechien erfolgreichen Arbeitsbereich im Glas neue gestalterische Impulse verleihen und vor dem Hintergrund des Untergangs der großen Staatsbetriebe seit den 1990er Jahren und des fortwährenden Hüttensterbens durch ihre Aufträge einen Beitrag leisten, Produktionskapazitäten und Personal zu erhalten – und damit auch Kenntnisse und Fertigkeiten im Land zu halten. Zeitgleich entstanden zudem eine Reihe von formgeschmolzenen Tierfiguren. Das plastische Formen entwickelte Pavlik bei Aufenthalten 2013 und 2014 bei den Purepecha-Indianern in Mexiko weiter, wo er mit Ton arbeitete.

Zeitgleich entstand seine persönliche Arbeitsweise mit Glas. Das Material ist dabei ein entscheidender Qualitätsfaktor. Aus Ton, Stein, Holz oder Metall gefertigt, würden diese Skulpturen nicht ihre Wirkung entfalten. Die Erhabenheit, die mit den poetischen Vorstellungen von der Natur verbunden ist, drückt sich in der kaum fassbaren Strahlkraft der Glasfarben aus, die kein anderes Material und keine andere Farbe erreicht. Und auch die zyklische Veränderlichkeit der Natur spiegelt sich im Glas, wenn es im Lauf des Tages durch das aus unterschiedlichen Richtungen in variierender Intensität einfallende Sonnenlicht beleuchtet wird und beständig seine Wirkung wechselt. In einem eng besetzten Umfeld ist es Matyas Pavlik so in kurzer Zeit gelungen, eigene Themen zu setzen und dafür eine ausgereifte Formensprache zu finden.
Uwe Claassen

Skulptur: Delta

Achilles-Stiftung