BIOGRAPHIE

Petr Vlček


Petr Vlček (geb. 1962 in Prag, Tschechoslowakei) komponiert seine Skulpturen meist aus einfachen Formen. Sie tragen einen starken zeichenhaften Charakter und scheinen archetypischen Symbolen der Menschheit verwandt. In einem Interview mit Marie Kohoutová setzt er sie denn auch in Beziehung zur Arbeit von Archäologen, die prähistorische Kulturstätten erforschen. Die Ausgräber finden oft Objekte, die aus ihrem Kontext gelöst für heutige Menschen unverständlich sind, ein Geheimnis bergen. Während die Archäologen penibel Schicht für Schicht freilegen, um möglichst viele Hinweise auf die untergegangenen Zusammenhängen bewahren zu können, um dem Unverstandenen auf die Spur zu kommen, nutzt Vlček die Aura des Geheimnisvollen als einen Assoziationsraum: Es geht ihm um ein „kleines mentales Erwachen“ bei den Betrachtern, wenn sie auf ein Objekt stoßen, wie sie es noch nie gesehen haben und lustvoll beginnen, es zu erkunden und mit Bedeutungszuschreibungen zu versehen. Während die Archäologen in ihren Ausstellungen meist ausführliche Erklärungen zum Forschungsstand beifügen, sind die Betrachter von Vlčeks Arbeiten ganz auf ihre Intuition angewiesen.

Nach dem Besuch der Václav Holler Kunstschule in Prag von begann Vlček 1984 ein Design-Studium bei Bedřich Hanák an der Hochschule für Angewandte Kunst. Erst im zweiten Drittel seines Studiums fand er 1988 zum Glas und zur freien Kunst. Die Zeitumstände haben ihn mehr oder weniger durch Zufall dahin geführt: Als Stanislav Libenský, der Leiter der Glasklasse an der Hochschule, Mitte der 1980er Jahre aus dem Amt gedrängt wurde, verließ auch dessen langjähriger Assistent Karel Vaňura seine Stelle und wechselte in den Design-Bereich. Hier traf er auf Vlček und konnte ihn vom Glas begeistern. Bei Bořek Šípek machte der junge Künstler 1990 dann seinen Abschluss mit einer Serie von Lichtobjekten. Seitdem ist er als freier Künstler tätig. Wie viele tschechische Künstler, die mit Glas arbeiten, ist Vlček auch als Grafiker und Maler tätig. Im Unterschied zu den meisten von ihnen ist er ohne eine vorherige glastechnische Ausbildung als Quereinsteiger ins Glas gekommen und konzentriert sich auf Arbeitsweisen, die in den 1980er Jahren im Umfeld von Libenskýs Glasklasse entwickelt worden sind, bei denen ganz bildhauerisch ein Modell erstellt wird, von dem erst Formen abgenommen werden, in denen das Glas dann entweder aufgeblasen oder geschmolzen wird. Viele seiner Arbeiten führt Vlček nicht nur in Glas, sondern auch im Bronzeguss aus und erforscht so die unterschiedlichen Materialeigenschaften für seine Arbeit.

Zu Beginn seiner Karriere hatte Vlček noch keine eigene Glaswerkstatt und war auf Fremdbetriebe für die Realisierung seiner Skulpturen angewiesen. In dieser Phase arbeitete er viel mit Glashütten, in denen das Glas in einer Gipsform aufgeblasen wurde. Formal sind diese Stücke erst einmal Hohlkörper, Vasen. Die klaren Linien und Proportionen ihrer Formen lehnen sich am tschechischen Kubismus und dem Art Deco an und werden durch getreppte Niveauabstufungen und Wülste betont. Durch wolkige Tönungen und Sprenkelungen in der Farbe wirken sie ausgesprochen malerisch. Stark stilisiert stellen sie weibliche und männliche Torsi dar. Mit ihren übertriebenen Körperformen, überweiten Hüften, kräftigen Oberkörpern und ornamentalen Dekoren sind sie Beschwörungen von Fruchtbarkeit, Kraft und Potenz. Auf höchst eigenartige Weise ist hier eine unzweifelhafte Ästhetik des 20. Jahrhunderts mit einem urzeitlichen Fetischcharakter verbunden worden. Genauso ergeht es Objekten unserer Dingwelt, die Vlček zeitgleich als massive Formschmlezplastiken realisierte: einer Zitronenpresse, einem Amboss, einem Akkordeon. Sie wirken wie aus einer anderen Welt auf uns gekommene Fetische.

Bei einer Produktionsphase in einer Glashütte lernte Vlček seine spätere Frau Eva Vlčková kennen, die hier während ihres Studiums ein Praktikum absolvierte. Gemeinsam richteten sie sich in Prag ein Studio für die Vorarbeiten und in Železný Brod eine Glaswerkstatt für die Realisierung ihrer Skulpturen ein, deren Mittelpunkt ein Brennofen für Formschmelzarbeiten und das Gerät für den Schliff, das Sandstrahlen und die Politur ist, allesamt Arbeiten, die sie selbst ausführen. Jetzt begann eine breite Produktion von Objektfetischen. Aber auch andere bereits angelegte Themen vertiefte Vlček, vor allem eine langjährig verfolgte Serie von Masken, denen Kopf- und Totemdarstellungen vorausgingen. Im Lauf der Jahre reduzierte er ihre Gestalt immer mehr auf strikt geometrische Grundformen. Immer wieder entstanden auch Arbeiten, die dezidiert auf prähistorische Kontexte anspielen wie „Mayan Engine“ (2016) oder „Hörner“, das auch als „Knossos“ bezeichnet wird (2009). Letztere Arbeit spielt auf den antiken Ort auf Kreta an, an dem im 7. Jahrtausend v. Chr. erstmals aus Kleinasien kommend die Nutzviehhaltung in der südlichen Ägäis eingeführt wurde und der für das Labyrinth mit dem mythischen Minotaurus, halb Mensch, halb Stier, bekannt ist. Das kraftvolle Symbol der Hörner findet sich in den antiken Ruinen Kretas an vielen Stellen sowohl in kultischen Zusammenhängen als auch als Architekturelement an Fassaden.

Vlček sieht all diese Arbeiten nicht als ethnographisch-historische Studien an, sondern als Manifestation von heutigen Gefühlen. Für ihn repräsentieren die fetischhaften Masken und Obekte bestimmte Symbole, die es dem Menschen leichter machen, mit existentiellen Themen wie zum Beispiel Begierde, Sexualität, Geburt oder Tod umzugehen. Archetypische Symbole aus prähistorischen Zeiten entfalten dabei bis in unsere Gegenwart ihre Kraft. Im Zwiespalt zwischen dem dargebotenen Inhalt und der Suche nach neuer Bedeutung sieht Pavla Rossini die schöpferische Stärke des Künstlers. Es ist eine Art, die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Dabei interessiert Vlček sich weniger dafür, konkrete Rätsel und Geheimnisse zu lösen: „Für mich geht es mehr um die Reise, den Weg zum Geheimnis […]. Das Geheimnis kann mit der Zeit zusammenhängen, frühes Wissen kann dabei nicht verstanden werden und spätes Wissen verursacht Eitelkeit.“
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung