BIOGRAPHIE

Colin Reid


Colin Reid (geb. 1953 in Poynton, Cheshire, Großbritannien) ist für Jennifer Hawkins Opie „eine Ausnahmeerscheinung im Britischen Glas“. Ihm ist das schwerste gelungen, was in der Kunst wohl möglich ist: eine einfache Idee zu einer unverkennbaren Formensprache auszubauen und diese beständig weiter zu entwickeln und so lebendig zu halten. Diese Arbeiten, die seit über 30 Jahren weltweit große Beachtung finden, und seine immer wiederkehrende Tätigkeit als Gastdozent an internationalen Hochschulen, Sommerschulen, Workshops und Symposien machen Colin Reid zu einem der einflussreichsten mit Glas arbeitenden Künstler Großbritanniens.

Bevor die Studioglasbewegung hier Fuß fassen konnte, war das Britische Glas auch im 20. Jahrhundert noch vom Kristallglas geprägt. Die akademische Lehre vermittelte die praktische Arbeit mit Glas nur in der Glasmalerei. Wie der Einschlag eines Kometen muss die Ankunft von Sam Herman gewirkt haben. Der Schüler von Harvey K. Littleton kam 1966 aus den USA mit einem Fulbright-Stipendium zunächst nach Edinburgh und baute dann am Royal College of Art in London eine Heißglaswerkstatt mit einem Studioofen auf, die er 1969 bis 1974 leitete. Seine freie, spontane und vitale Arbeit, die das Machen und das neugierige Erkunden der künstlerischen Potentiale des Materials Glas oftmals gegenüber der technischen Qualität des Endprodukts in den Vordergrund stellte, stand in völligem Gegensatz zu allem, was bis dahin in Großbritannien am Hüttenofen üblich war. In den damaligen Umbruchjahren inspirierte er eine ganze Generation von jungen Künstlern, unter ihnen Dillon Clarke, Pauline Solven und Annette Meech. Weil es für die ersten Absolventen weder Arbeits- noch Verkaufsmöglichkeiten gab, initiierte Herman 1969 die Gründung des „Glasshouse London“: eine bis 1998 bestehende Kooperative mit wechselnden Mitgliedern, die Produktion und Galeriebetrieb miteinander verband und sich zudem durch Kursprogramme finanzierte. Nach diesem Vorbild entstanden in den 1970er Jahren zahlreiche Werkstätten im ganzen Land, wie z.B. der „London Glassblowing Workshop“ von Peter Layton. Allerdings arbeiteten die meisten dieser Glasbläser weniger frei als Herman. Wer nicht das Einkommen als Lehrer einer Hochschule hatte und deren Werkstätten nutzen konnte musste sich durch die Produktion von Gebrauchsglas Freiräume für Exprimente erarbeiten und blieb meist dem potentiell funktionalen Gefäß verhaftet, dessen Wandung als künstlerischer Gestaltungsraum genutzt wurde. In dieser Zeit wurden auch zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten für die kreative Arbeit mit Glas ausgebaut oder gänzlich neu eingerichtet. Zu den bedeutendsten gehören Studiengänge an den Hochschulen in Edinburgh, Stourbridge, Wolverhampton und Sunderland. Durch internationalen Austausch und anregende Konferenzen wie „Working with Hot Glass“ 1976 in London, wo u.a. Stanislav Libenský unter stehenden Ovationen das zeitgenössische tschechische Glas vorstellte, entstand an den Hochschulen ein zutiefst experimentierfreudiges kreatives Klima, das Studierende aus aller Welt anzieht. Wie auch in anderen Ländern verlor das Glasblasen seine anfänglich dominante Position. Für die Realisierung ihrer künstlerischen Ideen, zu denen zunehmend auch Installationen und multimediale Arbeiten gehören, bevorzugen jüngere Generationen zumeist Techniken, deren Arbeitsprozess nicht auf einen kurzen Zeitraum wie bei der Arbeit am Studioofen begrenzt ist, bei dem der erste Versuch sitzen muss und es kaum Korrekturmöglichkeiten gibt. Durch die Pionierarbeit von Keith Cummings, Künstler und Dozent für Glas in Stourbridge, London und Wolverhampton, und seinem Schüler Colin Reid entwickelte sich Großbritannien zu einem bedeutenden Zentrum der Formschmelztechniken. Die zahlreichen Arbeitsschritte vom Entwickeln eines Modells über den Formenbau für die Schmelze, das Füllen der Form, den Schmelzvorgang selber und kalte Nachbearbeitungen bieten viele klar zu kontrollierende Gestaltungsmöglichkeiten, die weit über die Limitierungen des geblasenen Glases hinausgehen und der klassischen Bildhauerei viel näher stehen. Weitere wichtige Britische Vertreter dieser Arbeit sind Tessa Clegg, Diana Hobson oder David Reekie und in neuer Zeit z.B. auch die geborene Deutsche Heike Brachlow. Durch die hervorragende Ausbildungssituation und Einrichtungen wie das International Festival of Glass mit der angegliederten British Glass Biennale in Stourbridge oder North Lands Creative Glass im Schottischen Lybster mit optimalen Arbeitsmöglichkeiten, Kursen und Meisterklassen hat sich eine junge, künstlerisch innovative Szene entwickelt, die weit über Großbritannien hinausstrahlt.

Durch puren Zufall ist Colin Reid zum Glas gekommen. Im Alter von 17 Jahren begann er ein Studium an der St. Martins School of Art in London. Abstrakte Kunst interessierte ihn – zur damals dominanten Konzeptkunst fand er jedoch keinen Zugang und brach das Studium ohne einen Abschluss 1972 wieder ab. Es folgte in dieser bewegten Umbruchszeit eine Phase der Selbstfindung mit Aufenthalten im Londoner Ashram des Guru Maharaji und in Israel. Zurück in London stand er vor der Frage, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten wollte. Reid stieß auf Informationen über das Glasblasen vor einem Gasbrenner für den Technischen Apparatebau. Das weckte seine Neugier und er absolvierte ab 1975 eine entsprechende Ausbildung. Der Glasapparatebau bot zwar keine besonderen Karriereaussichten, doch vermittelte er handwerkliche Fähigkeiten, die Reid künstlerisch zu nutzen begann. Schon bald baute er sich in London eine eigene Werkstatt auf und fertigte kunstgewerbliche Artikel wie Schachspiele und Parfümflakons. Vor allem die Flakons aus farblosem Glas mit Aufschmelzungen farbiger Metalloxide verkauften sich gut und führten zu Aufträgen aus Handel und Industrie. Reid wollte nicht beim dünnwandigen „Lampenglas“ stehen bleiben. Um die Arbeit mit der Tiefenwirkung dickwandigen Glases zu erlernen und einen tiefer gehenden Zugang zum Glas insgesamt zu erreichen, wollte er noch einmal zurück an die Universität. 1978 schrieb er sich am College of Art and Technology in Stourbridge ein. Hier fand er in die Klasse von Keith Cummings, was ihm ungeahnte Perspektiven eröffnete.

Cummings erkundete mit zahllosen Versuchsreihen die physikalischen Bedingungen und kreativen Möglichkeiten von Formschmelztechniken, die ihren Ursprung bereits in der Antike haben, durch die Einführung der Glasmacherpfeife aber in Vergessenheit gerieten und erst im französischen Jugendstilglas erstmals wieder relevant in Erscheinung traten. In verschiedenen Büchern hat er darüber berichtet, erstmals 1980 in The Technique of Glassforming. Es geht um das Verschmelzen von vorgefertigten Glasstäben und -scheiben, die Veränderung ihrer Gestalt durch Absenken über Formen, das Verschmelzen von Glasgranulaten in plastischen Hohlformen und die Schmelze von Glasbarren oder Glasbruch in Formen bzw. aus einem Reservoir heraus, das sich im Ofen über der eigentlichen Form befindet. Viele Aspekte sind dabei zu beachten: Mit offener Flamme betriebene Öfen können genutzt werden, doch kann die Hitzekurve bei elektrischen Öfen deutlich besser gesteuert werden. Die Materialien für den Formenbau müssen hitzebeständig sein, damit sie nicht reißen. Mit geeigneten Trennmitteln wird eine Verbindung von Formmaterial und Glas verhindert. Im Zentrum stehen die Temperaturkurven des eigentlichen Schmelzvorgangs. Das Zusammenwirken verschiedener Variablen ist dabei zu beachten, darunter neben der Dauer des Ofengangs unter anderem auch die Eigenschaften und die Kompatibilität unterschiedlicher Glassorten sowie die Volumendurchmesser und Texturen der beabsichtigten Arbeiten. Mit den Versuchsreihen sollten Effekte erkundet und reproduzierbar gemacht werden. Colin Reid kam hier in eine vibrierende Aufbruchsstimmung hinein, die ihn intuitiv ansprach. Als Kind hatte er Modellboote gebaut und wusste, dass der Wille zum Ausdruck allein nicht reicht, um zu vorzeigbaren Ergebnissen zu gelangen. Dazu braucht es auch Kenntnisse von Materialien und handwerkliche Fähigkeiten. Zudem liebt er technische Herausforderungen: Im Ater von zwölf Jahren baute er sich allein ein kleines Boot, mit dem er segeln konnte. Die Situation in Stourbridge war wie für ihn geschaffen. Es galt Neuland zu erkunden und dabei alle intellektuellen und sinnlichen Fähigkeiten einzusetzen. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kommilitonen, die frisch von der Schule kamen, konnte er mit seiner gereifteren Lebenserfahrung und seinen Vorkenntnissen aus dem Lampenglas sehr zielgerichtet arbeiten. Noch während des Studiums gelang es ihm, die Grundzüge der Formensprache zu entwickeln, die sein Werk bis heute einzigartig und lebendig hält. Zudem war er durch die Einnahmen von den Parfümflakons, die er zeitweilig durch Assistenten produzieren ließ, wirtschaftlich in der Lage, seine Examensarbeiten nicht verkaufen zu müssen, sondern konnte sie zunächst zusammen halten, sie fotografieren und bekannten internationalen Galerien anbieten. 1984 hatte er in der in Sammlerkreisen sehr bekannten Kurland/Summers Gallery in Los Angeles eine Einzelausstellung. Schon bald folgten zahlreiche weitere in namhaften Galerien in den USA und in Kontinentaleuropa. Seine internationale Karriere hatte begonnen.

Die ersten präsentablen formgeschmolzenen Arbeiten von Colin Reid schließen an den vor der Lampe geblasenen Flakons an. An die Stelle der dünnwandigen und runden Außenform trat eine dickwandige, an geschliffene Kristalle erinnernde Gestalt aus farblosem Glas. Der Behälter nimmt nur einen kleinen Teil des Volumens ein. Der obere Teil der Form bildet den Verschluss. Die Trennlinie ist dabei nicht plan geschliffen und poliert wie die anderen Flächen, sondern ist irregulär aufgebrochen wie die beiden perfekt ineinander passenden Ebenen einer geplatzten Gesteinsschicht oder einer gebrochenen Baumrinde. Diese Elemente sind farblich gestaltet, oft in Grau- und Brauntönen: Vor dem Schmelzvorgang wurden dafür in der Form Metalloxide aufgetragen, die dann mit dem Glas verschmolzen und es färbten. Das Innere der Objekte zeigt feine Schleierbildungen, die entstehen, wenn das farblose Glas für den Schmelzvorgang nicht in die Form gefüllt ist, sondern aus einem über der Form befindlichen Reservoir herabfließt und sich in einem zähflüssigen Strang langsam in die Form legt. Schnell verliert sich die potentielle Behälterfunktion der Arbeiten und der skulpturale Charakter überwiegt immer mehr. Damit konnte die horizontale Trennung der zwei Elemente in die Vertikale überführt werden. Bögen werden nun zu einem Thema, gebrochen in zwei Hälften, die im Raum angeordnet aufeinander bezogen sind. Weitere neu aufkommende Formen sind Spiralen, Labyrinthe, Wellen, Kreuze und Doppelkreuze: Vorder- und Rückseite sind plangeschliffen und für den Einblick poliert während die Schmalseiten die eingefärbten und mattierten irregulären Formen von Baumrinden und Felsoberflächen tragen. Die Arbeiten sind Sinnbilder der Natur und werden darüber hinaus zunehmend zu abstrakten Zeichen von „eigentümlich kultischem, amulettartigem Charakter“, wie Rüdiger Joppien schrieb, denen sich Betrachter nur schwer entziehen könnten. Die Galeristin Ruth Summers meint: „Sie haben die Kraft, uns in sich hineinzuziehen“.

Wesentliche Merkmale der Formensprache von Reid sind das Spiel mit dem Kontrast unregelmäßiger, organisch gewachsener Naturformen und klar berechnender Geometrie sowie die nur mit Glas mögliche Arbeit mit der Außenform und dem inneren Volumen. Rüdiger Joppien stellt in diesem Zusammenhang einen formalen Vergleich mit dem bildhauerischen Werk von Richard Long (geb. 1945) her, der Naturmaterialien zu geometrischen Formen anordnete. In Künstlerstatements beschrieb Reid seinen Arbeitsprozess sehr genau: Er beginnt meist mit der Entdeckung anregender Formen direkt in der Natur, eben Baumrinden, Schichtungen und Oberflächen von Gestein, ausgetrocknete Bäche oder Strukturen von Blättern. Von ihnen nimmt er vor Ort Gipsabdrücke, die er in der Werkstatt über Silikonabnahmen in Wachsmodelle überführt, aus denen er im Zusammenklang mit anderen Materialien wie Gips und Styropor die Modelle für seine Skulpturen entwickelt. Ihm ist es wichtig zu sehen, dass seine Formen vor dem Schmelzvorgang auch in einem anderen Material „funktionieren“. Von einem fertig entwickelten Modell wird dann erneut eine Form abgenommen, in der ein weiteres Wachsmodell entsteht. Das wird mit einer hitzebeständigen, gipsbasierten Formmasse eingeschlämmt. Nach dem Abbinden wird das Wachs durch einen Auslass herausgeschmolzen, woher diese Arbeitsweise ihren Namen hat: Wachsausschmelztechnik. Die Form kann nun mit Glas befüllt werden bzw. wird ein glasgefülltes Reservoir über der Form im Ofen installiert. Die eigentliche Schmelze dauert meist nicht lang. Es folgt jedoch ein von der Größe des Objekts abhängendes, bisweilen mehrere Wochen dauerndes kontrolliertes Abkühlen. Ob die Arbeit diesen Prozess ohne das Entstehen von Spannungsrissen unbeschadet überstanden hat, wird beim Entfernen der Form sichtbar. Es folgt eine aufwendige Kaltbearbeitung durch Schleifen, Polieren und Sandstrahlen. Reid benennt in Statements die Inspiration seiner Arbeit durch die Natur. Er gibt aber keine weiteren Hinweise zur Bedeutung der Skulpturen. Im Vieraugengespräch äußert er sich gelegentlich dazu, sieht den kreativen Prozess jedoch als etwas höchst persönliches und privates: „Ich gebe meinen Arbeiten niemals Titel. Damit will ich potentiell missverständliche Hinweise auf die Arbeit vermeiden. Ich will dass die Betrachter eine eigenständige Beziehung mit dem Stück entwickeln.“ Zu Zwecken der eindeutigen Identifikation nummeriert er seine Arbeiten seit 1984 fortlaufend, beginnend mit 30, weil vorher etwa so viele unnummerierte Stücke entstanden waren. Gelegentlich der Nummer dennoch beigefügte Titel haben eher beschreibenden als deutenden Charakter. Noch deutlicher wird er im Zusammenhang mit monumentalen öffentlichen und privaten Auftragsarbeiten zitiert: „Ich schaue nicht auf die Bedeutungen … es ist die Form; wie ich darauf reagiere. Es gibt keine offen liegende Botschaft“. Andrew Brewerton versteht die bei Reid zu beobachtende Betonung des Machens gegenüber einer inhaltlichen Botschaft als eine Art kognitiver Methode, als Teil eines Erkenntnisprozesses. Letztendlich betrifft dieser Prozess die Person des Künstlers selber: „Meine Arbeit handelt davon, wer ich bin. Deswegen bin ich so akribisch und sensibel damit.“ Fast 30 Jahre später gilt das noch immer: „Als Künstler ist das Material, mit dem du arbeitest, dein Leben, deine Erfahrung, […]. Alles aus meinem Leben kann in meine Arbeit einfließen. Was ich ausdrücke kommt davon, wer ich bin“, so Colin Reid im Video-Interview mit dem Galeristen Serge Lechaczynski.

Ein Aufenthalt von Colin Reid als Artist-in-Residence 1991/92 in Auckland, Neuseeland, brachte neue Impulse für sein Werk. Die hier entstandenen Skulpturen, so formuliert Reid es in einem neuen Künstlerstatement, sind inspiriert von drei Erfahrungen: Der vulkanischen Landschaft mit ihren Basaltfeldern, einem Schmelzgestein, dessen Entstehung dem vom Glas ähnlich ist, und das er in seine Arbeiten integriert. Dann sind es die Strandaufenthalte mit seiner Familie und dem Bauen von Sandburgen. Die ersten Gipsabgüsse der in Neuseeland entstandenen Arbeiten wurden von am Strand entstandenen Sandreliefs abgenommen. Als drittes nennt er die Kunst der Maori und der indigenen Bevölkerung Polynesiens, die ihn fasziniert. Die Zeichenhaftigkeit der neuen Arbeiten ist gegenüber den älteren noch einmal gesteigert: Die Texturen vom Sand sind zwar rau, aber nicht so raumgreifend wie die von Baumrinden. Die Form wirkt dadurch geschlossener. Zudem öffnet Reid nicht das Innere durch Schleifen und Polieren einiger Oberflächen – die Konzentration geht ganz auf die äußere Gestalt. So sind monumentale Standbilder entstanden, die zum Teil logohaft entrückt wirken, wie Rüdiger Joppien befindet. Inspiriert seien sie weniger von der Natur als vielmehr von der Kultur der Maori und Polynesier: „Indem er sich magischen, totemistischen Zeichen zuwendet, verschmilzt Colin Reid in seinen Arbeiten Vergangenheit und Gegenwart, ja das Bewusstsein ganzer Kulturen.“

Der Wechsel der Inspirationsquelle von der Natur zu menschlichen Kulturleistungen setzte sich fort: Abgüsse von Büchern, ornamentalen Steinreliefs mittelalterlicher Kirchen oder den Schnecken von Cellos wurden seine Themen, daneben aber auch Alltägliches wie Obst und Gemüse, Sonnenblumen und Lilien oder Fische. Eben: „Alles aus meinem Leben kann in meine Arbeit einfließen“. Für diese Themen begann Reid mit optischem Glas zu arbeiten, das sehr hohe Lichtbrechungseigenschaften besitzt. Häufig nutzte er nun dreieckige Grundformen mit zwei langen und einer schmalen Seite, die das Motiv trägt. Beim Umrunden der Arbeiten wirken die physikalischen Gesetze der Optik: In bestimmten Betrachtungswinkeln verschwindet das Motiv langsam bis es völlig unsichtbar geworden ist. Aus anderen Winkeln erscheint es wieder in voller Pracht. Es ist ein faszinierendes vexierbildhaftes Spiel, das hier zunächst im Vordergrund steht. Mit der Zeit geht dieses freudige Staunen immer mehr auf das eigentliche Motiv über, das hier gefeiert wird. Jede dieser Skulpturen ist eine Laudatio auf menschliche Leistungen wie Musik, Kunst und Literatur oder auf die Natur, die uns mit Schönheit und Lebensmitteln versorgt.

Mit der Zeit wurde es schwer, das nötige Rohglas für diese Arbeiten zu beschaffen, weil die Produktion in England eingestellt worden war. Eine erneute Veränderung der Arbeit deutete sich an. Zuletzt hatte Reid wenig mit Farben gearbeitet, oft nur partiell eine bläulich-grüne Kupferpatina aufgebracht. Nun beschloss er, Farbe zu seinem nächsten Thema zu machen. Nach vielen missglückten Versuchsreihen begann Reid, industriell gefertigtes Floatglas zu nutzen. Er in schneidet es in Streifen und bemalt eine Breitseite mit Emailfarbe. Die Streifen werden dann in einer Form geschichtet, wobei unregelmäßige Lücken zwischen den Streifen eingebaut sind. Beim Ofengang verschmelzen die Streifen. Das Glas läuft auch in die Lücken und die farbigen Lamellen erhalten jede eine eigene weiche, fließende oder sich wiegende Gestalt. Die Farbwirkung dieser Arbeiten ist wie beim „Ring of Fire“ überwältigend. Obwohl nur wenig Farbe eingebracht ist, wirken sie voll von Farbe gesättigt. „Colour Saturation“ ist denn auch der Name dieser Werkgruppe, der nicht mehr verrät, als das, was man sieht. Reid hat einen anderen Weg für die Arbeit mit Farbe gefunden als Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová, deren voll durchgefärbte Skulpturen an dünnen Stellen lichthell wirken und an dicken fast Schwarz. Bei Reid strahlt die ganze Skulptur in einem kräftigen Farbton, der nur leicht changiert, wie die Farben des Laubwerks eines Baumes oder einer Wiese mit ihren unzähligen Halmen. Das Geheimnis der Arbeit von Colin Reid liegt neben der Offenheit der dinglichen Metamorphosen wohl auch in der Reduktion, der Konzentration auf ein einziges Thema, das er maximal zur Geltung bringt.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung