Erwin Eisch (geb. 1927 in Frauenau, Deutschland) ist Spross einer im Bayerischen Wald alteingesessenen Glasbläser- und Glasveredlerfamilie. Von ihm stammt das Bonmot „Kunst kommt von Kopfweh.“ Er äußert sich immer wieder zu seinem Werk und will die Betrachter seiner Arbeiten über die Titel, über Vorträge und Publikationen an ihr Verständnis heranführen. Dabei spitzt er gerne zu und liebt die Polemik. Im ersten Heft der 1980 neu begründeten Zeitschrift „Neues Glas“ verglich Eisch eine Reihe seiner Arbeiten mit der Figur des Oskar Matzerath aus dem Roman „Die Blechtrommel“ von Günter Grass, der gegen seine Familie und das bürgerliche Milieu protestiert, sich dem Leben der Erwachsenen verweigert, der beschließt, nicht mehr zu wachsen und der Glas zerschreien kann. In seiner „Bierkrugserie“ der 1970er Jahre sieht Eisch gewisse Parallelen: Die Krüge sind als solche klar erkennbar, doch verweigern sie sich jeglicher Gebrauchsfunktion. Sie sind aufgebrochen und vernäht, zerschossen und mit Applikationen von Brüsten oder Penissen versehen. Die Tradition, aus der der funktionale Gegenstand kommt, wird einerseits aufgegriffen. Sie wird in ihrer Zerstörung aber kritisch hinterfragt. Der Krug wird mit neuen Bedeutungen aufgeladen und auf eine neue ästhetische und inhaltliche Ebene gestellt. Die Form wird aus konzeptionellen Zwängen befreit und aus einem funktionalen Gebrauchsgegenstand wird so ein Kunstobjekt. Der Vater Valentin Eisch war Glasschneider. Sein Sohn Erwin erlernte in der 1946 neu gegründeten Werkstatt des Vaters in Frauenau dieses Handwerk und besuchte nebenher die Glasfachschule in Zwiesel. 1949 bis 1952 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München Innenarchitektur und Glasdesign bei Josef Hillerbrand. Bereits zu dieser Zeit begann er, sich am damals dominierenden Funktionalismus in der Folge von Adolf Loos und der Bauhausschule zu reiben. 1952 kehrte Eisch für vier Jahre nach Frauenau zurück, um seine Familie beim Bau und Betrieb einer eigenen kleinen Glashütte zu unterstützen. Das Rohglas für den Gravurbetrieb wurde nun selbst hergestellt, und Erwin Eisch begann, neben seinem Vater und den Brüdern, Entwürfe für Unikate und Serienmodelle zu fertigen. Zudem sammelte er erste praktische Erfahrungen im Formen des heißen Glases. 1956 ging Eisch zurück nach München an die Akademie der Bildenden Künste und studierte Bildhauerei bei Heinrich Kirchner. Er wurde Gründungsmitglied der Künstlergruppe SPUR und nahm aktiv am künstlerischen Leben der Stadt und ihren kunstpolitischen Debatten teil. 1960 gründete er mit seiner späteren Frau Gretel Stadler und Max L. Strack die Künstlergruppe RADAMA. Helmut Ricke beschreibt, wie der Ansatz, der zur „Bierkrug-Serie“ der 1970er Jahre führte, schon zu dieser Zeit bei Erwin Eisch voll ausgeprägt war. Die Gruppe verstand sich als Teil der damaligen künstlerischen Avantgarde, die Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen wollte. Um dem etablierten Kunstbetrieb einen Spiegel vorzuhalten, den Kult des genialen Einzelkünstlers zu karikieren und eigene Positionen zu präsentieren, wurde 1961 das Konzept einer in drei Teilen gestaffelten Ausstellung entwickelt. Unter dem Titel „Bolus Krim-Gedächtnisausstellung“ wurden Arbeiten der Mitglieder der Künstlergruppe als Werke des erfundenen, angeblich kürzlich verstorbenen Malers und Bildhauers Bolus Krim gezeigt. In einem zweiten Teil sollte anschließend unter dem Titel „Schöner Wohnen“ das aus dem Funktionalismus stammende Diktum der „schönen Form“ ad absurdum geführt und damit auch die damals aktuellen bürgerlichen Wohneinrichtungen ironisiert werden. Als drittes sollte dieses Prinzip auf die sakrale Kunst übertragen werden. Die Bolus Krim-Gedächtnisausstellung sorgte für bundesweites Aufsehen. Sie wurde von der Öffentlichkeit entweder als Gag abgetan oder als Betrugsversuch missgedeutet. „Schöner Wohnen“ mit zahlreichen Glasarbeiten Erwin Eischs wurde zwar noch in der angemieteten Galerie Malura aufgebaut, aber kaum eröffnet auf Wunsch des Galeristen wieder geschlossen. 1962 bildeten diese Gläser den Grundstock für die Einzelausstellung „Glas unserer Zeit“ bei Tritschler, einem alteingesessenen Fachgeschäft für Glas und Porzellan in Stuttgart. In Art einer Installation wurden über 200 Objekte präsentiert, welche die Geschichte des greisen und weisen Königs Eduard III. erzählt, wie er kurz vor dem Ableben dem Hofstaat einen Auszug aus seinen 228 Thesen zum rechten Leben und zum rechten Umgang mit den Dingen der Welt vorträgt. Zu sehen sind der König und ein Teil seines Hofstaats als Glasskulpturen in expressiver Ausführung und zahlreiche Objekte für die herrschaftliche Tafel: Teller, Gläser, Vasen, Tafelaufsätze, Kerzenleuchter. Allesamt, genauso wie bei den Bierkrügen der 1970er Jahre, verleugnen sie ihre Herkunft aus dem Funktionalen nicht, sind jedoch so ausgeführt, dass jede Benutzung ausgeschlossen ist. Eisch wollte hier nichts „Formschönes“ zeigen, sondern etwas „Geformtes“, und durch die neuen Formen zu einer neuen Sprache gelangen, wie ein Faltblatt zur Ausstellung bekanntgab. Das geschah ganz in einem anti-ästhetischen Sinn gegenüber dem bisher vorhandenen, indem er handwerkliche Qualität und Perfektion verweigerte. Zudem waren in der Ausstellung bei Tritschler auf einer Tafel einige der Leitsatze des Königs prasentiert: „22 | Ihr sollt Euch nicht vom Zweck der Dinge erniedrigen lassen. 23 | Ihr sollt den Dingen dieser Welt ein menschliches, schönes Antlitz geben und niemals das bloße Material in den Vordergrund stellen. 24 | Ihr sollt in allen Dingen Eure schöpferische Kraft ganz entfalten. 25 | Ihr sollt Eure geistigen, poetischen Fähigkeiten in höchstem Maße anwenden. 187 | Ihr sollt Euch keiner primitiven Diktatur unterwerfen, sondern sollt Euch ein Gesetz aufbauen, in dem Eure Freiheit Form werden kann. 188 | Ihr sollt die Realität dort suchen, wo die Irrealität anfangt … “. „In diesen Thesen ist das künstlerische Programm formuliert, dem Erwin Eisch zeit seines Lebens folgen sollte: Kritik an der Überbewertung von Design, Funktion und Materialfetischismus, Einbeziehung der Poesie nicht nur in der Bildenden Kunst, sondern in alle Bereiche des Lebens, Entfaltung und Entwicklung der schöpferischen Kräfte als das eigentlich Bedeutsame menschlicher Existenz und schließlich das Bewusstsein der Kraft und des Potentials des Irrealen und der Fantasie gegenüber der Banalität der Realität des Alltäglichen“ wie Helmut Ricke zusammenfasst. 1962 wurde der Amerikaner Harvey K. Littleton auf Erwin Eisch aufmerksam. Littleton war in Europa auf der Suche nach Ansätzen, mit denen das amerikanische Glas aus einem künstlerischen Impetus heraus erneuert werden konnte. In Eischs Gläsern fand er genau das, was er suchte. Es entstand eine Jahrzehnte andauernde, sich gegenseitig beeinflussende Freundschaft, und beide wurden zu Gründervätern der von den USA ausgehenden internationalen Studioglasbewegung. Für Eisch zielt seine Arbeit auf das „Organisch-Lebendige“. Das bedeutet unter anderem, dass er nach anfänglich ungegenständlichen Arbeiten nur noch gegenständlich arbeitet und nur dann farbloses Glas einsetzt, wenn die Farblosigkeit inhaltlich einen Sinn ergibt, denn farbloses Glas, wie es unter dem Diktum des Funktionalismus als materialgerecht gilt, leugnet in seiner Sicht die eigene Existenz. In den 1960er Jahren näherte sich Eisch Gestaltungen des Jugendstils mit ihren floralen Formen und gekämmten Fadenauflagen an. In der Mitte der 1970er Jahre wurde daraus die Serie „Poesie in Glas“ entwickelt, bei der Mitarbeiter der Eisch-Hütte seine Entwurfe in Variation realisierten. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es hier mit einem verspäteten, zweitrangigen Jugendstil zu tun zu haben. Der entscheidende Unterschied liegt wieder im Zugriff: Das historische Jugendstilglas ist am Gebrauchsobjekt orientiert, an der eleganten Vase, dem schönen Trinkglas unter der Prämisse der Naturformen. Erwin Eisch geht es um etwas anderes: „Für mich aber war nicht das Gefäß als Zweckform ausschlaggebend, sondern die reine plastische Form, das Glas als Medium, ein zweckfreies Mittel der Kunst.“ Seit dem Ende der 1960er Jahre entstanden formgeblasene Skulpturen. Gretel Eisch schuf aus Ton die Modelle, von denen die Formen abgenommen wurden. Geblasen wurden die Arbeiten von Hüttenarbeitern. Erwin Eisch übernahm die noch heißen und formbaren Werkstucke und gab ihnen ihre endgültige Gestalt: Er verformte sie, öffnet sie oder setzte Applikationen an. Von jeder Form entstanden so Serien von unterschiedlichen Unikaten. Diese Arbeiten, wie die „Schuhe“, die „Finger“ (der Zeigefinger!) oder das zu einem Klassiker der Studioglasbewegung gewordene „Telefon“, sind mit Platin- oder Goldauflagen versehen. Im Laufe der 1970er Jahre bekamen kalte Veredlungstechniken eine immer größere Bedeutung. Durch Gravuren und Bemalungen gelang es Eisch, verschiedene Bedeutungsebenen herzustellen und miteinander in Verbindung zu setzen. Häufig sind auch die Titel oder kurze Texte Teil der Skulptur. Höhepunkte sind die Porträtserien von Budda, Harvey K. Littleton, Tom Buechner, Picasso, seinen Eltern oder sich selbst. Seit der Mitte der 1970er Jahre nahmen die Malerei und die Grafik, hier insbesondere der Glasdruck, eine immer größere Rolle in der Arbeit von Erwin Eisch ein und entwickelten sich immer mehr zu ihrem Mittelpunkt. Das Werk von Erwin Eisch ist von großer Ernsthaftigkeit und viel hintergründigem Humor geprägt. Weder hängt er formalistischen Konzepten an noch stülpt er expressiv sein Gefühlsleben nach Außen. Er erforscht sein Inneres und die Gesellschaft mit ihrer Geschichte und sucht nach poetischen Formen für das, was ihn bewegt. Mit der Selbstbezogenheit hat er sich in der Arbeit „Narziss – ein Interieur“ auseinandergesetzt, einer verspiegelten Figur, die verletzt auf einer Trage liegt und auf den Abtransport durch zwei Sanitäterinnen wartet. Es gelingt ihm immer wieder, das Persönliche mit dem Allgemeinen zu verschränken, das moment- und facettenhaft Vielschichtige mit dem, was bleibt. „Wolken waren schon immer mein letzter Halt“ ist der Untertitel des großen Buches, das ihm 2012 zum 85. Geburtstag gewidmet wurde. Und ganz in diesem poetischen Sinn ist auch die Arbeit „The Eight Heads of Harvey K. Littleton“ von 1976 zu verstehen, in der Eisch seinen Freund achtfach darstellt: als Gentleman, als Poet, als kraftvollen Lehrer, dem sein Leitgedanke „Technique is cheap“ wie bei einem Comic auf eine Sprechblase vor den Mund geschrieben ist, als „Man of Frauenau“, als Arbeiter, als Littleton mit Kopfschmerz nach durchzechter Nacht, als zerbrechlichen Menschen und als „Littleton’s Spirit“. Die Kunst von Erwin Eisch ist weder für den Produzenten selbst noch für den ernsthaften Rezipienten leicht. Eisch selbst spricht gelegentlich von einer Hass-Liebe zum Glas, die ihn zum Aktivwerden treibt, einen Beitrag zur Veränderung und Verbesserung der Welt zu leisten. Seine Kunst berührt. Sie kann mit ihren der vorherrschenden Ästhetik widersprechenden Auffassungen anstrengend sein. Wenn sie besonders gut ist, kann das, im übertragenen Sinne, Kopfweh bereiten – dafür als Lohn der Anstrengung aber auch Momente der Selbsterkenntnis bringen. Uwe Claassen