Ann Wolff (geb. 1937 in Lübeck, Deutschland) gehört seit mehr 40 Jahren international zu den bedeutenden und einflussreichen Künstlern, die mit Glas arbeiten. Immer wieder konnte sie ihr Werk erneuern und so Maßstäbe setzen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sie das Material Glas kritisch sieht und es sehr bewusst einsetzt – neben der teils phasenweisen, teils beständigen Arbeit mit Zeichnung auf Papier, mit Druckgrafik, Malerei und der Bildhauerei mit anderen Materialien. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass sie ihre Kunst weniger vom fertigen, für den Kunstmarkt bestimmten Stück her denkt, sondern aus der „gelebten Erfahrung“ ableitet, wie Andrew Brewerton schrieb. Ann Wolff sagt selber: „Es ist natürlich, sich selbst als Ausgangspunkt zu nehmen.“ Ihre ganze Karriere über hat sie sich die Neugier am Machen bewahrt, für das sie sich zurückziehen muss und das sie mit dem völlig selbstvergessenen Spiel von Kindern im Sandkasten vergleicht. Im Spiel sieht sie ein Inbeziehungtreten mit dem eigenen Tun, das Voraussetzung von Erfahrung ist. Ist diese Erfahrung gemacht, kann das fertige Produkt mit leichter Hand zerstört oder beiseitegelegt werden. Noch einmal Ann Wolff: „Der Weg ist das Ziel. Im Spiel geschieht wesentliche Leistung. Die Wahrhaftigkeit des Spiels, die das Endresultat nicht in den Fokus setzt, erlaubt Erfindung durch Eigenheit, d.h. wesentliche Leistung des wirklichen Menschen.“ So subjektiv dieser Zugriff zuerst erscheint, so betont Wolff doch, dass ihr Interesse am Selbst das Andere immer einschließt, denn alles das, was den einzelnen Menschen ausmacht, steht in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, ob es uns bewusst ist oder nicht. In den 1970er Jahren waren es zumeist tagebuchartige Bildgeschichten auf Schalen, Flachgläsern oder Reliefs, mit denen sie aufzeigte, was um sie herum und mit ihr geschah. Dann rückte das Gesicht in den Mittelpunkt und mit ihm Fragen nach der Relation der Einzelperson zu ihrem Umfeld, dem Inneren zum Äußeren. Und seit Mitte der 1990er Jahre steht in formgeschmolzenen Arbeiten der Erfahrungsraum selbst im Fokus. In ihrer Arbeit ist es Ann Wolff gelungen, immer wieder neue, unverbrauchte Formensprachen und Archetypen gleiche Bilder zu finden, diese „zu allgemeingültigen Aussagen zu verdichten“, wie Eva Schmitt anmerkte, so dass sie in ihrer poetischen Vielschichtigkeit weit über die eigene Person hinausweisen. Ann Wolff ist durch Zufall zum Glas gekommen. In den 1950er Jahren studierte sie an der Hochschule für Gestaltung in Ulm Visuelle Kommunikation mit den Schwerpunkten Grafik, Fotografie und Film. Hier lernte sie den Schweden Göran Wärff kennen. Als der 1960 zurück in seine Heimat ging, um als Designer für die Glashütte Pukebergs zu arbeiten, folgte sie ihm. Beide heirateten und bekamen zwei Kinder. In der schwedischen Provinz gab es für Wolff beruflich nichts anderes zu tun, als mit ihrem Mann Gebrauchsglas zu entwerfen. 1964 wechselten sie als Team zu Kosta. Mit experimentellen Entwürfen für die Serienproduktion, die in der praktischen Zusammenarbeit mit Glasmachern am Ofen entstanden, machten sie sich schnell einen Namen. Gemäß der zeitgenössischen Entwicklung setzten sie dabei nicht mehr auf die schlichte Eleganz transparenten Glases, für die das skandinavische Design berühmt geworden war, sondern auf organische, asymmetrische Naturformen, strukturierte, bisweilen intransparente Oberflächen und historisierend-folkloristische Ornamente, wie sie seit den 1950er Jahren vor allem von Finnland aus aufkamen. Die Ideen und Freiheiten der in den USA entstandenen Studioglasbewegung, die anfänglich allein auf die individuelle Arbeit am Ofen bezogen war, nahm Ann Wolff mit großem Interesse wahr. In Schweden war es Åsa Brandt (geb. 1940), die als erste diese Gedanken aufgriff, an der Rietfeld Academie in Amsterdam und dem Royal College of Art in London, wo unter Sybren Valkema (1916-1996) und Sam Herman (geb. 1936) künstlerische Ausbildungen am Schmelzofen entstanden, studierte und 1968 die erste von der Glasindustrie unabhängige Heißglaswerkstatt in Schweden einrichtete. Wolff hatte jedoch kein Interesse, selber Glas zu blasen. Ihr Weg in die Kunst entsprach dem für Europa eher typischen Weg, wo zumeist Designer mithilfe von Glasmachern oder in Kaltbearbeitungstechniken ausgebildete Kunsthandwerker sich künstlerische Arbeitsweisen erschlossen. Bei Kosta hatte sie die Gravur- und Ätzwerkstätten entdeckt, die nur wenig genutzt wurden, und sich dort die entsprechenden Techniken überwiegend selbst angeeignet. Mit ihnen entwarf sie auf mehrfarbigem Überfangglas vegetabile Dekorationen und figürliche Szenerien in der Art samischer Stammeskunst mit ihren archaisch anmutenden Ritzzeichnungen nach Motiven aus dem von der Rentierhaltung geprägten Leben. Weitere Impulse erhielt sie während einer Indienreise 1969, besonders von den warmen Farben der Saris und den sie zierenden gestickten Bildgeschichten von Göttern, Menschen und Tieren. Nun erfolgte der entscheidende Schritt, der Wolff in die Kunst führte: Sie hörte auf, aus „fremden“ Formsprachen dekorative Elemente für Gebrauchsglasentwürfe abzuleiten, sondern machte das eigene Erleben zum Ausgangspunkt ihrer Bilder. „Ich wollte jetzt auch versuchen, Dinge zu zeigen, die passieren. Aber nicht nur praktische Dinge, sondern solche, die mit unserem inneren Leben zu tun haben, mit unserer Seele.“ Zuerst befürchtete sie, ihre figürlichen Motive könnten als naiv angesehen werden, da der künstlerische Mainstream von abstrakter Arbeit dominiert wurde. Letztlich erkannte sie in den Bildern und Ornamenten auf Kultobjekten wie Gebrauchsgerät eine alte Kulturtechnik, deren antike und neuere Überreste in den Museen der Welt gesammelt und deren Hintergründe dort erforscht werden. In den 1970er Jahren entwickelte Wolff, obwohl inzwischen geschieden noch unter ihrem Ehenamen Ann Wärff, ihre Arbeitsweise weiter. Mit flächigen Pinselätzungen schuf sie Farbstimmungen in den mehrfarbigen Überfang-Rohlingen, zumeist Schalen. Die nur mit wenigen Linien skizzierten Bildgeschichten führte sie mit Strichätzungen aus. Alles was sie betraf konnte Gegenstand dieser Bilder werden: Szenen aus dem Miteinander von Mann und Frau, aus dem Alltagsleben, dem Aufwachsen der Kinder, Haushaltsgeräte wurden zu Symbolen für Gemütlichkeit aber auch von Geschlechterrollen, Stühle zu Zeichen der Zivilisation, wehendes Haar steht für Sinnlichkeit, die spitze Schere für das Böse und die runde für das Gute. Die Arbeiten entstanden in einem ungeplant-intuitiven Arbeitsprozess. „Stück für Stück machte ich hunderte von diesen Schalen. Es war wie ein lang geführtes Tagebuch. Die Menschen mochten sie, ohne die Bilder zu verstehen.“ Und auch Ann Wolff selbst war oft genug überrascht von ihnen: „Ich muss sagen, es macht mir großen Spaß, sie anzusehen und mich selbst oder eine bestimmte Situation in ihnen zu finden und darüber zu staunen, wer ich bin.“ Obwohl auch die Schale in diesem Kosmos eine Rolle als Symbol für das Weibliche hatte, begann Wolff, das vordergründige Gebrauchsobjekt durch andere Bildträger zu ergänzen. Flach aufgeschleuderte und mit den bekannten Motiven geätzte farbige Überfanggläser montierte sie reliefartig auf größere Fensterscheiben, in die nüchtern-sachlich Motive von Stühlen und Haushaltsgeräten durch Sandstrahlen eingearbeitet sind. Eine emotionale Ebene wird so durch eine rationale kontrastiert. Der Blick aus dem Fenster leitet zur Sicht auf das Innere des Menschen. Zudem entstanden erste Ansätze, ganz ins Dreidimensionale zu gehen, z.B. mit den Arbeiten der „Hetfogning“-Reihe, zwei stilisierten Menschen, die aneinandergeheftet sind. Auch hier sind die wichtigen Merkmale von Wolffs Kunst klar erkennbar: Die beiden Figuren öffnen in ihrer Dualität einen Erfahrungsraum, dessen Qualität offen gehalten ist: Was bedeutet die Interaktion? Sind die Menschen freiwillig aneinender gebunden – oder durch Zwang? Bei der nun in Hamburg befindlichen Arbeit trägt eine Figur die andere. Tut sie das gern? Ist es eine Last? Braucht die andere Hilfe oder nutzt sie die erste nur aus? Hier werden Fragen nach dem Menschsein angerissen und nach den Energien, die uns antreiben. Und da ist es gerade das Glas, dass mit seinen Möglichkeiten der Transparenz und Intransparenz inhaltliche Dimensionen erschließt, wie es kein anderes Material kann. Die Köpfe als Schaltstellen der Ratio sind transparent und durchscheinend leer – die Körper und Extremitäten als ausführende Organe und Orte der Emotion sind intransparent mattiert: Die Ratio gibt keine wirklichen Anhaltspunkte für unseren Antrieb und die Emotionalität gibt ihr Geheimnis nicht preis. Das ist gewiss nur eine mögliche Lesart für diese kleine Skulptur. Sie besitzt aber ein wichtiges Merkmal guter Kunst: Sie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. 1977 wurde Wolff beim Coburger Glaspreises der erste Preis zugesprochen. Die Jury überzeugte die Poesie der Bildsprache und die innovativen Techniken, mit denen sie sich von Traditionen löste und richtungsweisend Wege aufzeigte, das Glas in den Raum der Kunst zu heben. 1978 verließ sie Kosta und baute mit dem Glasmacher Wilke Adolfsson die „Stenhytta“ auf, eine Studioglashütte, in der sie kunsthandwerkliches Gebrauchsglas und die Rohlinge für Wolffs kalt gestaltete Unikate fertigten. Neue Themen und Symbole kamen hinzu: z.B. das Schachbrett als Zeichen der Ratio, der Faden und das Wollknäuel, die Menschen zusammenbinden (ob sie es wollen oder nicht), und das doppelgesichtige Portrait, oft mit Verweisen auf die Tierwelt in Form von Vogel- und Wolfsmasken. Diese Themen entwickelte sie nicht mehr allein im Glas, sondern parallel auch in der Zeichnung auf Papier, der Druckgrafik, dem Aquarell und der Malerei, die mit ihren spontaneren Arbeitsprozessen eine intensivere Qualität der künstlerischen Introspektion ermöglichen. Zu Beginn der 1980er Jahre kam es zu einer deutlichen Veränderung in Wolffs Werk. Die erzählenden Bildmotive wurden an den Rand gedrängt. In den Mittelpunkt trat das weibliche Gesicht, das den es umgebenden Symbolen und der Welt, in die es hineingestellt ist, nüchtern und distanziert entgegentritt. Die Frage nach der Identität bekommt hier eine neue Zuspitzung: Die Person steht jetzt im Zentrum und nicht mehr eine Erzählung, an der sie beteiligt ist. Für Wolff sind diese Arbeiten keine Selbstportraits, sondern wie ein „Doppelgänger“ oder eine „Zwillingsschwester“, etwas Nahes, aber doch Anderes, das ihr beim Erkennen ihrer Wirklichkeit hilft. Das Selbst und das Andere, das Innere und das Äußere sind bei diesen Arbeiten immer zusammen gedacht. Nun gewannen die Arbeiten zudem mehr Plastizität: Die Gesichter bekamen stilisierte Körper, Arme und Beine und auch andere Materialien wie Holz, Metall oder Stein fanden Einsatz. Um diesem Bruch einen klaren Ausdruck zu verleihen, legte die Künstlerin 1985 ihren bis dahin genutzten Ehenamen Wärff ab und nannte sich als geborene Schaefer nach dem Namen ihrer Großmutter Ann Wolff. Trotz dieser Weiterentwicklung geriet Wolff in eine Krise. Zum einen misstraute sie dem Glas mit seiner optischen Brillanz bei gleichzeitig notwendigen hohen handwerklichen Fähigkeiten, es zu verarbeiten. Eine ihrer zentralen Fragen lautete: Beruht ihre Arbeit auf den eigenen künstlerischen Ideen oder doch eher darauf, wie das Material sie leitet? Zum anderen fühlte sie sich durch den Erfolg ihrer Arbeit zunehmend eingeschränkt. Der Kunstmarkt und vor allem die neu entstandene Glasszene verlangten nach Varianten des bereits Bekannten und Erfolgreichen – nicht aber unbedingt nach wahrhaftiger Kunst. In einem vielbeachteten Vortrag formulierte sie 1989 ihre Gedanken. Zahlreiche in Zeitschriften veröffentlichte Reaktionen versuchten, dieses Statement weitgehend mit Hinweisen auf eine Konsolidierungsphase nach dem lebhaften Entdecken des Materials Glas für die Kunst und den Eigenheiten des Kunstmarktes zu relativieren. Ann Wolff befand sich inmitten einer Phase der Neuorientierung, in der sie die Selbstbefragung noch einmal zeichnerisch intensivierte und mit der großformatigen „Köln-Suite“, einer 19 Meter langen Papierrolle, auf einen Höhepunkt trieb. Jetzt entstanden zahlreiche Selbstportraits wie z.B. die „van Gogh-Suite“, in der sie sich in den holländischen Maler verwandelte. Auch hier suchte sie immer wieder „das Andere in sich selbst“. Auf diesem Weg ist es ihr in den 1990er Jahren erneut gelungen, aus Erfahrungen mit sich selbst eine neue Formensprache zu finden, in der zudem der Einsatz von Glas seine Berechtigung findet. Zuerst begann sie, ihre Zeichnungen auf Glasscheiben zu übertragen und mehrere Scheiben mit etwas Abstand hintereinander gestaffelt zu Bildkästen zusammenzufügen, die das Prozesshafte und Vielschichtige des Menschlichen aufzeigen. Und dann wurde sie zu einer Bildhauerin im ganz klassischen Sinn: Aus Lehm formt sie bis heute Modelle, in deren abgenommenen Formen Bronze- und Glasskulpturen gegossen bzw. geschmolzen werden. Der thematische Fokus ist nun weniger darauf gerichtet, wer sie ist, sondern, wie sie es geworden ist. 1996 entstanden farbige Gesichter, aus denen unterschiedlichste Formen hervor wachsen, mal klar trennend, mal wuchernd, mal durch Schliff beschnitten, geradezu so wie die verschiedensten Gedanken, die uns zu dem machen, was wir sind, die aber normalerweise niemand sehen kann („Head-Series“). Eine etwas spätere Serie zeigt abstrahierte Körperteile, meist Brüste und Bäuche, die sie als Frau definieren. Solche Arbeiten können in anderen Materialien als Glas realisiert sein, doch nur das vom Licht durchschimmerte Glas verleiht ihnen eine ganz besondere Aura. Anders verhält es sich mit Skulpturen, die seit etwa Mitte der 2000er Jahre entstanden. Gesichter, menschliche Figuren, Treppen finden sich als Negativform im Glas. Das Eigentliche ist hier nicht existent, nur sein maskenartiges Abbild. Die Skulptur manifestiert den nicht sichtbaren Raum zwischen den Dingen. Ann Wolff greift das Thema des Doppelportraits wieder auf, nun nicht mehr als Paar von Gesicht und Maske wie noch auf den Schalen und Zeichnungen auf Papier der 1980er Jahre, sondern in großer Ruhe sich still musternder Gesichter („Persona“, 2004). Das Gesicht findet sich in Häusern als Form des Ausdrucks menschlicher Wesensart („Domus I“, 2006). Und das Haus kann auch von einer Treppe durchzogen sein als Symbol für verschiedene Ebenen der Entwicklung seiner Bewohner („Stair House“, 2004). Am eindrucksvollsten erscheinen jedoch Arbeiten wie „Double Darling“ (2006) oder „Step out“ (2007), bei denen ein Gesicht oder eine menschliche Figur auf der einen Seite als Negativmaske in das Glas einzutreten scheint und auf der anderen als Positiv wieder heraustritt. Es ist eine höchst poetische Art danach zu fragen, was mit uns Menschen passiert, wenn wir den nicht wahrnehmbaren Raum durchschreiten, der doch gefüllt ist von den Beziehungen zwischen allem, was ihn umgibt. Und je dichter man an diese Skulpturen herantritt, desto mehr verlieren sich ihre Ränder, das Glas wird zum unsichtbaren Nichts und die hier eingeschlossenen Luftblasen, das eigentliche Nichts, manifestieren sich als einzig substanzielle Wahrnehmung. Fast ihre ganze Karriere als Künstlerin über hat Ann Wolff mit dem Glas gehadert, seinen Einsatz hinterfragt und sich dagegen gesperrt, als „Glaskünstlerin“ vereinnahmt zu werden. Und doch kam sie neben der zunehmenden Arbeit mit grafisch-malerischen Techniken und anderen Materialien immer wieder zum Glas zurück und fand gerade wegen ihres reflektierten Umgangs zu einem höchst eigenständigem künstlerischen Ausdruck, der nur mit diesem Material möglich ist. Insofern hat ein bereits zu Beginn der 1980er Jahre von ihr ausgesprochener Satz immer noch Gültigkeit: „Glas trägt meine zerstreuten Gedanken ins Licht.“ Uwe Claassen