BIOGRAPHIE

Dale Chihuly


Dale Chihuly (geb. 1941 in Tacoma, WA, USA) ist neben seinem Lehrer Harvey K. Littleton der wohl bedeutendste amerikanische Glaskünstler, der mit am Ofen geblasenem Glas arbeitet. Ihre Bedeutung haben sich beide durch eigenständige künstlerische Leistungen und eine weit ausstrahlende Lehrtätigkeit erworben. Chihuly kam von der Innenarchitektur und dem Weben anfangs der 1960er Jahre zum Glas, als er während seines Studiums an der University of Washington begann, bei Schmelzexperimenten selbst hergestellte Glaselemente in Vorhänge zu integrieren. Nach dem Bachelor-Examen ging er 1966 auf eine Empfehlung hin nach Madison zu Littleton, um bei ihm das Glasblasen zu erlernen. Seine Studien schloss er 1968 an der Rhode Island School of Design (RISD) in Providence im Fach Keramik mit einem Master-Examen ab.

Das Glas hatte ihn aber gepackt. Mit einem Fulbright-Stipendium reiste er 1968 nach Europa und konnte für ein halbes Jahr bei Venini arbeiten. Er durfte hier kein Glas blasen, konnte jedoch die Produktionsabläufe studieren und bei vielen vor- und nachbereitenden Arbeitsschritten assistieren. Bestürzt war er über das enorme handwerkliche Vermögen der angestellten Glasbläser in Murano – im Gegensatz zu den eigenen beschränkten Fertigkeiten. Im Frühjahr 1969 besuchte er zudem Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová in Prag sowie Erwin Eisch in Frauenau.

Nach seiner Rückkehr 1969 in die USA baute er an der RISD ein Glasprogramm auf, das er bis 1980 leitete. Parallel war er 1971 an der Gründung und der Leitung der Pilchuck Glass School in Stanwood bei Seattle maßgeblich beteiligt. Die Schule entwickelte sich zu einem der wichtigsten Ausbildungs-, Kommunikations- und Experimentierzentren für künstlerisch gestaltetes Glas weltweit.

Das Werk von Dale Chihuly war um 1970 herum von Environments geprägt, die er gemeinsam mit James Carpenter entwickelte und realisierte. Berühmt sind ihre großformatigen Arbeiten wie der „Glass Forest“: lange, unten verdickte Glasröhren, die als Baumstämme zu einem Wald angeordnet sind und teilweise durch unter Spannung gesetzte Neon- und Argonfüllungen leuchten. Bei dem im Freien aufgebauten „20.000 Pounds of Ice and Neon“ waren leuchtende Neonröhren im Eis eingeschlossen, das mit dem Beginn des Frühjahrs schmolz. Überhaupt ist es ein Kennzeichen von Chihulys Arbeit, dass er, anders als Littleton, mit Teams arbeitet und so größere, beziehungsweise handwerklich-technisch anspruchsvollere Werke ausführen kann, als es allein oder mit nur einem Assistenten möglich wäre. Durch einen Autounfall verlor Chihuly 1976 die Sehkraft eines Auges. Seitdem kann er nur noch eingeschränkt räumlich sehen. Chihuly zog sich nun völlig vom Glasblasen zurück. Statt dessen nimmt er die Rolle eines Regisseurs ein, der das Team beim Umsetzen seiner Entwürfe lenkt und das Erscheinungsbild der Marke „Chihuly“ gestaltet.

Mitte der 1970er Jahre wandte Chihuly sich dem Gefäß zu. In einem Museum hatte er Textilien von Navajo-Indianern gesehen, die ihn zur „Navajo Blanket Cylinder“-Serie inspirierten. Die seit 1975 gefertigten Zylindervasen tragen außen von Kate Elliott und Flora C. Mace gestaltete textilähnliche Muster aus aufgeschmolzenen Glasfäden. Ein weiterer Museumsbesuch, bei dem Chihuly geflochtene und ineinander gestellte Indianerkörbe gesehen hatte, inspirierte ihn zu seiner „Baskets“-Serie, die er seit 1977 mit Benjamin Moore realisierte: große, zum Teil bis zur Grenze des Machbaren dünn ausgeblasene, unregelmäßige Gefäße in beige-brauner Farbigkeit, die er in Gruppen neben- und ineinander gestellt präsentierte. Beeinflusst sind diese Arbeiten von der Dünnwandigkeit venezianischer Gläser und der Naturauffassung des Jugendstils, vor allem bei Louis C. Tiffany (1848–1933) und der südböhmischen Manufaktur Johann Lötz Witwe, mit ihrem Glauben an das Naturschöne und dem spannungsvollen Verhältnis zwischen Natur- und Kunstform. Über beide Vorbilder geht Chihuly durch seine neuen Konzepte und seinen Hang zu monumentaler Größe weit hinaus. Dieser Einfluss wird bei seinen nächsten Serien noch deutlicher, bei den an Muscheln erinnernden „Seaforms“ (ab 1980) und den stark farbigen „Macchias“ und „Persians“ (ab 1983 bzw. 1986). Mit dem Muraneser Meisterglasbläser Lino Tagliapietra fertigte er ab 1988 die von italienischen Gläsern des Art Deco, (Vasen von Carlo Scarpa und großen Pflanzenskulpturen von Napoleone Martinuzzi), inspirierte, stark ornamental geprägte „Venetian“-Serie. Im Mittelpunkt steht hier nicht der geschmückte Gebrauchsgegenstand, sondern das überbordende Schmuckwerk selbst. Weitere Serien sind als „Putti“, „Ikebana“ oder „Nijima Float“ überschrieben.

Mit dem zunehmenden Erfolg seiner Arbeiten stellte Chihuly immer mehr Mitarbeiter ein, zeitweilig über 200, und begann auch wieder, an Rauminstallationen für öffentliche und private Auftraggeber zu arbeiten. Dabei stellte er in einem additiven Verfahren viele Einzelstücke seiner Serien zu Boden-, Wand- und Deckengestaltungen zusammen, im Fall der Lobby des Bellagio-Hotels in Las Vegas waren es z.B. 2000 „Persians“. Aus den ornamentalen Elementen der „Venetians“ entstanden teils mehrere Meter hohe kronleuchterähnliche, stark leuchtend farbig-monochrome Gebilde, die „Chandeliers“. Mit solchen Arbeiten ging Chihuly auch wieder ins Freie, z.B. als er 1996 für „Chihuly Over Venice“ 14 „Chandeliers“ für ein Jahr lang über Venedig verteilt aufstellen ließ. Für „Chihuly in the Light of Jerusalem“ ließ er im Jahr 2000 Eisblöcke aus Alaska nach Israel kommen. Das Eis türmte er zu einer schmelzenden Mauer, die von innen heraus durch Neonlicht illuminiert war. In den letzten Jahren hat er mehrfach große pflanzen- und nestartige Installationen in Botanischen Gärten präsentiert.

So eindeutig der internationale Erfolg von Dale Chihuly ist, so umstritten sind seine Arbeiten. Die einen feiern ihn als Erneuerer der Glaskunst, der die Zukunft des venezianischen Glases gestaltet. Karen S. Chambers meint, er hätte das Beste aus der Alten Welt aufgesogen, es erfrischt und erneuert. Tina Oldknow hebt die Environments von Chihuly hervor und bezieht sie auf Performance- und Landart-Künstler wie Christo und Jeanne-Claude: „Der widerhallende Erfolg der Garteninstallationen und anderer Environments von Chihuly demonstriert die Wichtigkeit und den Bedarf an ästhetischer Erfahrung – der Erfahrung von Momenten der Schönheit, der Offenbarung und Transzendenz als Antithese des Alltäglichen“. Auf der anderen Seite wird schon in den einzelnen Stücken seiner Serien eine manieristische Überhöhung von Naturformen gesehen, mit der sich Chihuly in seinen Installationen auf den schmalen Grat zwischen künstlerischem Ausdruck und dekorativer Kleinteiligkeit begäbe. Schärfer formulierte es Susanne K. Frantz, eine Vorgängerin von Tina Oldknow als Kuratorin am Corning Museum of Glass: Das Werk von Chihuly sei „sehr schön. Niemand zweifelt an, dass er ein wunderbarer Designer ist. Aber das Werk ist vulgär, schrecklich kommerzialisiert, nach Aufmerksamkeit heischend und es mangelt an Niveau“.
Uwe Claassen

Achilles-Stiftung