BIOGRAPHIE

Michael Behrens


Michael Behrens (geb. 1973 in Düsseldorf, Deutschland) konnte schon zu Beginn seiner Arbeit mit Glas eine höchst eigenständige, unverwechselbare Formensprache entwickeln, die er im Lauf der Jahre immer weiter ausbaute. Im Mittelpunkt seines künstlerischen Interesses steht dabei das Meer mit seinen Unterwasserwelten: vor allem die große Farbenpracht der Korallenriffe des indischen Ozeans mit ihren Gräsern, Annemonen, Fischen und den zahlreichen anderen Lebewesen, die einzeln oder in großen Gruppen mal ruhig stehen und sich dann wieder sanft oder wild hin und her gerissen in den Strömungen des Wasser bewegen. Auf vielen Tauchgängen hat Behrens diese fantastischen Welten erkundet. Seine Faszination für sie fließt direkt in seine Kunst ein. Damit steht er in einer Jahrtausende alten Linie, in der Künstler sich von Erscheinungen der Natur inspirieren lassen und so wirkungsmächtige Werke schaffen (Ricke 2012: 39).

Schon als Kind war Michael Behrens ein Tüftler und Bastler, der die heimische Garage zum Leidwesen der Eltern zu einer großen Werkstatt umfunktionierte. Dieser an und für sich eher nebensächliche Charakterzug wird später, wenn es um die Entwicklung seiner künstlerischen Arbeitsweise geht, wieder von Bedeutung sein. Die Schule war für ihn nichts, so absolvierte er eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Schon bald wurde ihm klar, dass dieser Beruf für ihn kein Lebensinhalt sein konnte. Das Abitur wurde nachgemacht und 1999 die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Bildenden Künste in Maastricht bestanden. Peter Bremers, mit Glas arbeitender Künstler, war hier eine Zeit lang Tutor von Behrens, der Produkt- und Schmuckdesign studierte. Eigentlich wollte er sich als Möbeldesigner etablieren. Zu seiner Abschlussarbeit an der Akademie im Jahr 2003 gehörte ein Tisch mit einer massiven Glasplatte, die abgesenkte Ausstülpungen nach unten und oben besitzt. Auch Lampen mit durch Absenkung geformten Glasschirmen sind sein Werk. Dieser Weg ins Glas beruht auf einem Zufall: Bei der Suche nach Sponsoren für die Abschlussarbeit stieß Behrens auf eine Firma, die Öfen, Werkzeuge und Rohmaterialien für den Betrieb von kleineren Glasstudios herstellte und vertrieb. Diese Firma ermöglichte ihm die Realisierung der Stücke für den Studienabschluss, wofür unter seiner Mithilfe erst Öfen gebaut werden mussten. Und hier haben wir wieder den Tüftler, der sich durch die Beschäftigung mit technischen Abläufen neue ästhetische Möglichkeiten erarbeitet oder aber genau anders herum, für die Realisierung seiner künstlerischen Ideen die technischen Möglichkeiten erst schafft.

Die ersten Jahre nach dem Studium waren geprägt durch das Bemühen, sich als Möbeldesigner zu etablieren. In dem Glasbetrieb, in dem er die Abschlussarbeit fertigte, konnte Behrens sich preisgünstig einen kleinen Arbeitsbereich einrichten und vor allem die Elektroöfen zum Verschmelzen und Absenken von Glas nutzen. Geld verdiente er in dieser Zeit vor allem als Assistent in der Werkstatt von Peter Bremers mit dem Bau von Formen und Modellen. So kam er immer tiefer in die Beschäftigung mit Glas hinein und sammelte Erfahrungen, die zu neuen Ideen führten.

Eine dieser Ideen war, die Erfahrungen seiner Tauchgänge vor den Seychellen, den Malediven oder Tansania, seine Faszination für die Unterwasserwelten in gläserne Kunstwerke zu überführen. Ein erster Ansatz waren hochwandige Gefäßobjekte, „Graale“, wie Behrens sie nennt, die im Elektroofen aus eigens dafür aufgebauten Glasplatten abgesenkt wurden. In der Wand des fertigen Objekts sind Spuren der Fließbewegungen des Glases erhalten: Streifen, die an- und abschwellen, sich sanft eindrehen, hier und da haben sich kleine Öffnungen und Bläschen gebildet. Die Streifen wirken ein klein wenig wie Wassergräser, die sanft in einer Strömung treiben. Es wird aber auch deutlich, dass es hier nicht um ein mehr oder weiniger stark abstrahiertes oder gar naturalistisches Abbild der Unterwasserwelt geht, wie etwa in den Aquarienblöcken, die zu tausenden auf Murano gefertigt wurden, bei Edward Halds Fischgraalvasen für Orrefors oder bei zahlreichen Protagonisten der Studioglasbewegung, bei denen Wassermotive sehr beliebt waren. Ähnlich wie bei Behrens’ früherem Mentor Peter Bremers steht im Mittelpunkt, einen Ausdruck für das Gefühl zu finden, das sich bei der Naturerfahrung einstellt. Und so kann die eingesetzte Farbpalette, trotz aller Farbenpracht der Arbeiten, im Vergleich zur Natur, gezielt reduziert werden, genauso wie auch die Varianz der eingesetzten Formen.

Noch deutlicher wird das bei den Arbeiten der „Unterwasserwelt“-Serie. Aus miteinander verschmolzenen farblosen Glaselementen sind massive Platten aufgebaut, in denen dünne Farbschlieren zu schweben scheinen. Die Platten sind sanft gewellt abgesenkt. Es entsteht der verblüffende Eindruck, ein so noch nie gesehenes Äquivalent für Wasser vor sich zu haben: für ein durchsichtiges Nichts, dessen Oberfläche immer zum Runden strebt, das das Licht bricht, seine Umgebung tausendfach gebrochen spiegelt und die verschiedensten Farben anzunehmen vermag. Schon bald ging Behrens dazu über diese Platten hochkant zu stellen, um ihren Objektcharakter stärker zu betonen. Stetig entwickelte er sein Werk weiter. Der bisherige Höhepunkt dürfte die 2011 begonnene Serie der „Seaforms“ sein. Im Gegensatz zu den Arbeiten der „Unterwasserwelt“-Serie, die auf der Form einer aufgebauten Platte beruhen, arbeitet Behrens nun wie ein klassischer Bildhauer: Zeichnerisch notierte Formideen setzt er mit Hilfe von Bauschaumplatten in dreidimensionale Modelle um, von denen Formen abgenommen werden. Im nächsten Arbeitsschritt werden in diesen Formen vorbereitete Glaselemente angeordnet. Im Ofengang verschmelzen sie miteinander. Nach dem Abkühlen werden die Skulpturen kalt nachbearbeitet: geschliffen, poliert und partiell mattiert. Frappierend ist die helle, strahlende Farbwirkung, die von diesen Arbeiten ausgeht. Die meisten Künstler, die Formschmelztechniken einsetzen, arbeiten mit voll durchgefärbten Gläsern. Das führt dazu, dass die Wirkung eines einzigen Farbwerts an dünnen Rändern lichthell ist, bei größer werdenden Durchmessern aber schnell dunkler wird und bis zum Schwarz hin changieren kann. Bei den zunehmend größer und monumentaler werdenden Arbeiten von Behrens würde dieser Effekt sehr schnell eintreten. Seine Farbbrillanz erreicht er, indem er mit farblosen Glaselementen arbeitet, die mit farbigem Glaspulver ummantelt sind. Beim Schmelzprozess bilden sich so rhythmisch angeordnete lamellenartige Felder, die sanft hin und her zu schwingen scheinen. Das Licht tritt in die Skulptur ein und lässt die Farben in aller Pracht erstrahlen.

Formschmelztechniken sind bereits in der Antike entwickelt worden, aber nach der Erfindung der Glasmacherpfeife in den Hintergrund getreten. Im französischen Jugendstilglas gab es ein erstes Wiederaufgreifen. Für die moderne und zeitgenössische künstlerische Arbeit mit Glas waren es vor allem Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová sowie Klaus Moje, die mit dem Einsatz von unterschiedlichen Formschmelztechniken Pionierarbeit leisteten. Vom Vorbild Mojes ausgehend entwickelten Gabriele Küstner und Gary Beecham bereits in den 1980er Jahren Arbeitsweisen, bei denen sie farblose Glasstäbe mit Farbglas ummantelten und dann miteinander verschmolzen, um die Strahlkraft der Farben zu erhöhen. Mit der Form ihrer Arbeiten, potentiell noch nutzbaren Schalen bzw. aufgerichteten flachen Paneelen, verfolgen sie aber noch längst nicht einen skulptural-bildhauerischen Ansatz wie Michael Behrens oder Colin Reid und Oliver Leššo, die parallel zu ersterem mit anderen künstlerischen Ansätzen ähnliche Techniken entwickelten. Behrens’ Seaforms reflektieren nicht nur die Farben der Korallenriffe, sondern mit den sanft schwingenden lamellenartigen Feldern in ihrem Inneren auch die Bewegungen der dicht bei dicht auf und an den Korallenriffen beheimateten Lebenwesen in der Strömung des Wassers. Weitere Gestaltungselemente sind die gerundeten Formen der Skulpturen, als wären sie von der beständigen Strömung abgeschliffen, und die Oberflächen. Mal sind sie poliert und geben den Blick ins Innere frei. Dann sind sie mattiert, so dass das Innenleben nur schemenhaft erahnt werden kann. Und zum Dritten können sie partiell auch mit hammerschlagartigen oder herausgemeißelt wirkenden Strukturen versehen sein, die jedoch kein Produkt einer Kaltbearbeitung, sondern bereits in der Schmelzform angelegt sind. Mit diesen Mitteln schafft Michael Behrens ein fantastisches Universum, das weniger die Unterwasserwelt abbildet als viel mehr seine emotionale Berührtheit von der Beobachtung der natürlichen Erscheinungen. „Die Natur ist für mich ein meditativer Ort, an dem ich meine Gedanken sortiere und Energie gewinne. […] Die im Alltag und auf Reisen gesammelten Eindrücke sind der Schlüssel zu meiner Kreativität und bilden die Basis meines Werks“, so der Künstler selber (Behrens [2019]: 33).

Seit 2012 entwickelt Behrens parallel die Werkgruppe der „Landscapes“: über Formen abgesenkte Glasscheiben, verspiegelt und partiell mattiert, repräsentieren als Wandmontierungen Luftbilder von Wasserlandschaften. Die neueste, seit 2019 entstehende Werkgruppe trägt den Titel „Phoenix“: Schwarze, undurchdringliche Glaskörper, teils mit Blattgold belegt und teils mit hochpolierten Oberflächen, die das helle Licht weiß reflektieren. Mit diesen starken Kontrasten verarbeitet Behrens den Brand, der im Jahr 2012 seine Werkstatt mitsamt Öfen, Werkzeugen, den Modellen seiner bis dahin entstandenen Arbeiten und auch dort lagernde fertige Werke vernichtete. Wie ein Phoenix aus der Asche konnte er seine Werkstatt wieder aufbauen und die erst 2011 begonnenen „Seaforms“ zu einer Blüte führen. Mit der „Phoenix“-Serie beginnt ein neuer Entwicklungsschritt, mit dem Behrens sich nun ohne Einblick ins Innere der Skulptur ganz auf die Außenform konzentriert.
Uwe Claassen

Literatur:

Continuum Gallery: Michael Behrens. Seaforms & Landscapes. Inspiration from the Deep Sea and Outer Space. Königswinter o.J. [2012]. // Glasmuseum Alter Hof Herding: Michael Behrens / Peter Bremers. Mit Beiträgen von Helmut Ricke. O.O 2008. // Continuum Gallery: Michael Behrens. Phoenix & Seaforms. Königswinter o.J. [2019]. // Habatat Galleries: Habatat Now Presents Artist Getting Personal with Michael Behrens Zoom Glass48. Online gestellt am 11.07.2020. www.youtube.com/watch?v=xFay7TguMSg [6.12.2020]. // Gallery Sikabonyi: Gallery Sikabonyi with Michael Behrens Interview PART one and two. Online gestellt am 12. und 15.05.2020. www.youtube.com/watch?v=KRamQuxIN7I und www.youtube.com/watch?v=VlKBgnvH5MU [6.12.2020]. // Peter Bremers: Michael Behrens – Natur, Technik und Inspiration. In: Glashaus 2/2007, 6-7 und in: Glassplitter 2/2007, 7-8. // Ernsting Stiftung Alter Hof Herding (Hg.): … Wer hätte das gedacht! Glasmuseum Alter Hof Herding, Glasdepot Höltingshof. Mit Beiträgen von Lilly Ernsting, Julia Geldmann undUlrike Hoppe-Oehl. Coesfeld 2016. // Glasmuseum Immenhausen: Glas 2009 – 4. Immenhäuser Glaspreis, Immenhausen 2009, 14-15. // Markus Klingenberg: Michael Behrens: Fire in the Studio. New Series of Works Phoenix. In: Neues Glas 1/2019, 32-35. // Helmut Ricke: Michael Behrens. Inspiration from the Deep Sea and Outer Space. In: NG 2/2012, 36-43.

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